Neue Selbstregulierungen der Bankiervereinigung im Bereich «Sustainable Finance»

Autorin: Marianne Müller

Am 28. Juni 2022 veröffentlichte die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) die folgenden Selbstregulierungen als prinzipienbasierte Minimal-Standards. Diese zielen unter anderem darauf ab, die Präferenzen der Anleger im Sinne der Environmental Social Governance (ESG) und die damit assoziierten Risiken während der Beratung und Verwaltung stärker zu berücksichtigen.


  1. Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung
  2. Richtlinien für die Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energieeffizienz

Gemeinsamkeiten der neuen Selbstregulierungen

Die beiden Selbstregulierungen treten per 1. Januar 2023 in Kraft. Die Minimal-Standards sind für Mitglieder der SBVg verbindlich (freie Selbstregulierung). Nicht-Mitglieder können die Richtlinien freiwillig anwenden. Die beiden Richtlinien stellen jedoch keinen aufsichtsrechtlichen Mindeststandard dar und fallen somit nicht in den Zuständigkeitsbereich der FINMA.

Beide Selbstregulierungen setzen beim Beratungsprozess an, also an der Schnittstelle zur Kundin und zum Kunden (sog. „Point of advice“). Dieser Ansatz verlangt erhebliche Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitenden in der Anlageberatung / Vermögensverwaltung und im Hypothekargeschäft, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden über die notwendigen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrung verfügen.

Überblick über die wichtigsten Neuerungen

Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung
  • Banken müssen die ESG-Präferenzen bei der Angemessenheits- oder Eignungsprüfung für das Segment Privatkunden in der portfolio- und transaktionsbasierten Anlageberatung und Vermögensverwaltung im Sinne des FIDLEG systematisch berücksichtigen.
  • Die Kundenberaterinnen und Kundenberater müssen die Kundinnen und Kunden über ESG-Risiken bei ESG-Anlagelösungen aufklären.
  • Die Banken müssen aufzeigen, wie die ESG-Präferenzen in konkrete ESG-Anlagelösungen berücksichtigt werden. Dabei hat der Finanzintermediär darauf zu achten, dass bei der portfoliobasierten Anlageberatung und Vermögensverwaltung die übergeordneten Anlageziele nicht verletzt werden.
  • Weichen Transaktionen von den geäusserten ESG-Präferenzen der Kundinnen und Kunden ab, dürfen diese erst ausgeführt werden, wenn die Kundinnen und Kunden entsprechend darüber informiert worden sind.
  • Die Interne Revision hat die Richtlinien mindestens alle drei Jahre zu überprüfen.
  • Für die Aus- und Weiterbildung sowie für neue Kundinnen- und Kundenbeziehungen gilt eine Übergangsfrist bis 1. Januar 2024.
  • Die Übergangsfrist für bestehende Geschäftsbeziehungen besteht bis 1. Januar 2025.
Richtlinien für die Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energieeffizienz 
  • Der absehbare Erneuerungsbedarf (Werterhaltung) und somit die Energieeffizienz der zu finanzierenden Gebäude ist im Neugeschäft mit den Kundinnen und Kunden zu thematisieren und einzuschätzen. Dies umfasst die folgenden Bereiche:
    • Erörterung von Sanierungsmassnahmen, insbesondere bei älteren Liegenschaften;
    • Erfassen von öffentlich verfügbaren Informationen zur Klimaeffizienz von Gebäuden;
    • Darstellen der Finanzierungsoptionen;
    • Informationen zu öffentliche und private Fördermassnahmen;
    • Informationen zu unabhängige Experten- und Fachstellen für spezifische Beratungen sowie ggf.
    • Unterstützung bei der Beantragung von Fördermassnahmen
  • Für bestehende Finanzierungen stellen die Anbieter von Hypotheken den Kundinnen und Kunden Informationen zur Erhöhung der Energieeffizienz in geeigneter Form (mündlich oder Website) zur Verfügung. Für dieses Segment besteht vorerst keine Beratungspflicht.
  • Die Richtlinien gelten für selbstbewohnte Einfamilien- und Ferienhäuser von Privatpersonen. Dies bedeutet, dass Wohnungen im Stockwerkeigentum und die Beratung von juristischen Personen nicht tangiert sind.
  • Für die Anpassung der internen Prozesse gilt eine Übergangsfrist bis 1. Januar 2024.
  • Aufgrund der laufenden Veränderungen im Bereich Hypotheken / Nachhaltigkeit wird im Unterschied zur Richtlinie im Bereich Anlageberatung und Vermögensverwaltung vorerst keine Prüfpflicht durch die Interne Revision verlangt.

Handlungsempfehlungen

  • Bestehende interne Prozesse in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung auf Konformität mit den neuen Anforderungen überprüfen;
  • IT-Konfigurationen anpassen, um effiziente Prozesse und Kontrollinstrumente zur Verfügung zu haben;
  • Erweiterung der internen Dokumentation um ESG-Aspekte (z.B. Beratungsleitfaden);
  • Weiterentwicklung des Kontrollframeworks um Schlüsselkontrollen für ESG-Aspekte;
  • Erarbeiten eines Schulungskonzepts für Front-, Compliance-Mitarbeitende sowie GL- und VR-Mitglieder in den Bereichen Anlageberatung / Vermögensverwaltung und Hypothekarfinanzierungen;
  • Bestehende Anlagelösungen überprüfen;
  • Erweiterung der Risikoanalyse und Mehrjahresplanung der Internen Revision um ESG-Themen bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung;
  • Überprüfen des Preismodells für die Finanzierung von nachhaltigen Immobilien im Neugeschäft und Erarbeiten eines Angebots für bestehende Finanzierungen;
  • Evaluieren, welche Labels und Zertifikate für die Klimaeffizienz von Gebäuden herangezogen werden sollen;
  • Informationsblatt für Fördermassnahmen erstellen;
  • Evaluierungen eines unabhängigen Expertenpools für die jeweilige Region;
  • Überlegen, welche Daten vom wem in welcher Form verfügbar sein müssen.

Fazit

Mit ihren beiden – für Mitglieder verpflichtenden – prinzipienbasierten Selbstregulierungen in den Bereichen Sustainable Finance setzt die SBVg ein wichtiges Ausrufezeichen. Dies stärkt die Branche und das Ansehen des Schweizer Finanzplatzes. Mit den neuen Minimal-Standards leistet die SBVg einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen im Immobilienmarkt und zur Verhinderung von Greenwashing beim Erbringen von Finanzdienstleistungen. Die Banken verfügen jedoch über genügend Spielraum, ihr Angebot und ihre Prozesse an ihr individuelles Geschäftsmodell auszurichten und sich gegenüber ihren Mitbewerbern zu differenzieren.