Indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative:

Anforderungen zu Sorgfaltspflichten und Transparenz in den Bereichen Mineralien und Metalle aus Konfliktherden sowie Kinderarbeit (VSoTr)

Autorin: Marianne Müller

Am 29. November 2020 scheiterte die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen» knapp am erforderlichen Ständemehr. Sofern nicht noch das Referendum ergriffen wird, tritt der vom Parlament beschlossene indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

Der Gegenvorschlag enthält zwei Regelungsbereiche: 1) eine Berichterstattungspflicht über nichtfinanzielle Belange und 2) Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Der zweite Regelungsbereich enthält Delegationsnormen. Mit der Publikation des Verordnungsentwurfes eröffnete der Bundesrat am 14. April 2021 die Vernehmlassung. Die Frist endet am 14. Juli 2021. Die erstmalige Anwendung gilt voraussichtlich für Geschäftsjahre, die per 31. Dezember 2022 enden.

Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Bestimmungen aus dem Verordnungsentwurf. Nicht behandelt wird die nichtfinanzielle Berichterstattung für Gesellschaften

  • des öffentlichen Interesses (Publikumsgesellschaften und FINMA bewilligte Institute) mit mehr als 500 Vollzeitstellen und
  • die in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren eine Bilanzsumme von mindestens CHF 20 Millionen oder einen Umsatzerlös von mindestens CHF 40 Millionen aufweisen.

Lieferketten

Der Verordnungsentwurf führt die Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten in den Bereichen Konfliktmanagement und Kinderarbeit näher aus. Sie beziehen sich auf die Lieferketten des Unternehmens. Der Begriff Lieferkette umfasst einerseits die eigene Geschäftstätigkeit und andererseits die Geschäftstätigkeit aller Wirtschaftsbeteiligten. Laut Erläuterungsbericht sind dabei Akteure gemeint, die

  • Besitz oder Eigentum an möglicherweise aus Konflikt- und Hochrisikogebieten stammenden Mineralien oder Metallen haben und
  • die an der Verbringung und Aufbereitung von der Abbaustätte bis zur Verarbeitung im Endprodukt beteiligt sind.

Für Produkte oder Dienstleistungen, bei denen ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht, gilt dies sinngemäss. Der Term «begründeter Verdacht» orientiert sich gemäss Erläuterungsbericht an der Geldwäschereigesetzgebung. Ein Verdacht ist dann begründet, wenn er auf einem konkreten Hinweis oder mehreren konkreten Anhaltspunkten beruht.

Ausnahmen bei Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten im Bereich Mineralien und Metalle

In den Anhängen A und B zum Verordnungsentwurf sind die Einfuhr- und Bearbeitungsmengen für Mineralien und Metalle, bis zu denen ein Unternehmen von der Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht befreit ist, detailliert aufgelistet. Gemäss Tabelle A Mineralien beträgt der Schwellenwert beispielsweise für Gold in Rohform oder in Form von Halbzeug oder Pulver 100 Kilogramm pro Jahr. Wendet das Unternehmen ein international anerkanntes Regelwerk an, ist es von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten nach OR befreit.

Ausnahmen bei Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten im Bereich Kinderarbeit

Der Verordnungsentwurf sieht ein dreistufiges Prüfkonzept vor für die Beurteilung, ob ein Unternehmen von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten nach OR betroffen ist:

Prüfschritt 1: Werden die Schwellenwerte übertroffen?

Unternehmen müssen nicht prüfen, ob ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht. Sie sind von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten befreit, wenn sie zusammen mit den von ihnen kontrollierten in- und ausländischen Unternehmen zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren unterschreiten. Diese Eckwerte orientieren sich an den Ausnahmen zur Pflicht der ordentlichen Revision:

  • Bilanzsumme von CHF 20 Millionen
  • Umsatzerlös von CHF 40 Millionen
  • 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt

Gemäss Erläuterungsbericht gibt es in der Schweiz 1‘679 Unternehmen mit mehr als 250 Vollzeitstellen und 4‘597 Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens CHF 40 Millionen. Wird Prüfschritt 1 mit ja beantwortet, kommt Prüfschritt 2 zur Anwendung.

Prüfschritt 2: Stammen die Produkte oder Dienstleistungen aus einem Land mit einer mittleren oder hohen Risikoeinstufung?

Für diese Prüfung kann der UNICEF Children’s Rights in the Workplace Index herangezogen werden. Wenn man im Prüfschritt 2 zum Schluss kommt, dass das Herkunftsland ein geringes Risiko aufweist, entfällt die weitere Prüfung, ob ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit vorliegt. Gemäss Gesetz sind sämtliche Länder der Lieferkette gemeint. Es gilt daher der «made in» Ansatz, wonach sich die Risikoprüfung auf das Produktionsland gemäss Herkunftsangabe beschränkt. Haben die Herkunftsländer ein mittleres oder hohes Risiko, muss Prüfschritt 3 durchgeführt werden.

Prüfschritt 3: Besteht mit Bezug auf ein konkretes Produkt oder eine konkrete Dienstleistung ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit?

Wird die Frage mit nein beantwortet, ist das Unternehmen von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten im Bereich Kinderarbeit befreit.

Wendet das Unternehmen ein international anerkanntes Regelwerk an, ist es von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten nach OR befreit.

Sorgfaltspflichten

Das Unternehmen muss in den Bereichen Mineralien und Metalle sowie Kinderarbeit in einem sogenannten Managementsystem (bestehend aus Prozessen, Instrumenten und Methoden) seine Lieferkettenpolitik sowie die Rückverfolgbarkeit der Lieferkette schriftlich adressieren. Gemäss Erläuterungsbericht handelt es sich bei der Rückverfolgbarkeit der Lieferkette und der Risikoermittlung nicht um Erfolgs- sondern Bemühenspflichten. Bei komplexen Lieferketten kann ein risikobasierter Ansatz gewählt werden.

Berichterstattung

Gemäss OR Art. 964septies erstattet das oberste Leitungs- oder Verwaltungsorgan jährlich Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten. Der Bericht muss innert sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres elektronisch veröffentlicht und während mindestens 10 Jahren öffentlich zugänglich bleiben.

Prüfung im Bereich Mineralien und Metalle

Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten bei Mineralien und Metallen muss durch ein von der Eidgenössischen Revisionsaufsichtsbehörde zugelassenes Revisionsunternehmen jährlich geprüft werden («negativ assurance»). Berichtsempfänger ist das oberste Leitungs- und Verwaltungsorgan.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen mit festgestellten Sorgfaltspflichten

  • Interne Verantwortlichkeiten festlegen und ein multidisziplinäres Projektteam aufstellen
  • Konsolidierungskreis identifizieren
  • Lieferantenkette nach dem «made in» Prinzip für den Bereich Mineralien und Metalle analysieren
  • Jährliche Einfuhr- und Bearbeitungsmengen analysieren
  • Lieferantenkette nach dem dreistufigen Prüfkonzept für den Bereich Kinderarbeit analysieren
  • Strategische Handlungsoptionen für Märkte, Produkte und Lieferanten entwickeln
  • Das bestehende Risikomanagement um die Themen Lieferantenpolitik und Rückverfolgbarkeit der Lieferkette erweitern
  • Frühzeitige Einbindung und Kommunikation mit den wichtigsten Lieferanten planen
  • Lieferantenverträge anpassen
  • Konzept für die Berichterstattung definieren
  • Frühzeitig mit der Revision die Prüfung planen

Fazit

Auf den ersten Blick könnte man fast meinen, dass die neuen Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten für kleinere und mittlere Unternehmen nicht gelten. Sollte ein betroffenes Unternehmen die neuen Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten künftig allerdings nicht erfüllen, werden sich Eigen- und Fremdkapitalgebende, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie NGOs als sanktionierende Instanzen im Markt lautstark bemerkbar machen.

Banken sind unserer Ansicht nach nicht direkt von der VSoTr betroffen. Allerdings kann sich ein indirekter Handlungsbedarf, beispielsweise bei der Überwachung von Kreditnehmenden, die sich nicht an die neuen Vorgaben halten, ergeben. Daher sollte überprüft werden, ob bei der Bonitätsprüfung zusätzliche Kriterien in den Bereichen Mineralien und Metalle sowie Kinderarbeit adressiert werden müssen.